Die Zeichnung als Materialität des Unsichtbaren
zur Ausstellung «Zeichenhaftes»
mit Jochem Hendricks, Nadja Ullmann, Lukas Hofkunst
kuratiert von Eva-Maria Züllig
4. März 2012–20. Mai 2012
Text zur Ausstellung von Stephanie Weiss, März 2012
Tusche und Bleistift auf Papier — Kohle auf Leinwand: Diese klassischen Techniken der Zeichnung kommen in allen Werken der ausgestellten KünstlerInnen zur Anwendung. Und doch wird das Medium «Zeichnung» als visuelle Darstellungsform durch die Materialität und die Arbeitstechnik in allen Arbeiten infrage gestellt. Die Zeichnungen werden zu Bildern von unsichtbaren Prozessen und damit um eine sinnhafte und sichtbare Wahrnehmung erweitert.
Die eingesetzten Techniken erlauben es, eine für die sinnliche Erfahrung nicht unmittelbar zugängliche Betrachtungsebene durch die Bilder zu erschliessen: Auf je eigene Art und Weise gelingt es den KünstlerInnen, die menschliche Wahrnehmung durch das Auge zu filtern und das «Unsichtbare» zum Thema ihrer Werke zu machen. Die Kontinuität des Schaffensprozesses materialisiert sich in feinsten Strukturen oder lässt aus einer scheinbar nicht-kontrollierten Arbeitsweise eine dem Material eigene Komposition entstehen. Aus den Zeichnungen werden somit materialisierte, menschliche Erfahrungen: Die Werke bekommen eine unmittelbare und erfahrbare Bedeutung, sie werden zu zeichenhaften Begegnungen mit der eigenen Lebenserfahrung. Das Zeichenhafte besitzt hierbei eine Symbolik, die sich der Betrachterin, dem Betrachter in keinster Weise als plakative Aufforderung zur Lesart der Zeichnungen aufdrängt. Vielmehr lenkt das Zeichenhafte der Ausstellung den Blick auf existentielle Reflexionen über die Materialität des Unsichtbaren: das Sehen, die Dauerhaftigkeit, das Geschehenlassen.
In den Arbeiten von Jochem Hendricks wird das Auge zum Gegenstand und zum Protagonisten der Zeichnung selbst: Mithilfe einer eye tracking Brille fertigt er Zeichnungen mit den Augen an. Konkrete Gegenstände wie eine Uhr, eine Rechnung, ein Geldschein werden durch die Augenführung gezeichnet und lassen ein unmittelbares Bild durch das Sinnesorgan entstehen. Wiedererkennung wird möglich und lässt sich durch das Nachzeichnen der Objekte mit den eigenen Augen erfahren. Scheinbar unbewusste, nicht steuerbare Bewegungen — das Blinzeln, der Blick ins Nichts — werden gezeichnet und somit zu materialisierten Bildern unsichtbarer Augenblicke.
Nadja Ullmanns Zeichnung erstreckt sich entlang einer zehn Meter langen Papierrolle: Ihre Arbeit entstand während eines Jahres als fortwährender Prozess auf einem einzigen Blatt. Unterschiedliche zeitliche Arbeitsabschnitte und kleinste Striche werden in Wellen sichtbar und lassen die Zeichnung als plastisches und gleichsam meditatives Werk erscheinen. Wie beim Offenlegen einer Schriftrolle wandert der Blick über feine Strukturen der einzelnen Zeilen hin zu sich daraus erschliessenden Mustern: Dauerhaftigkeit und alltägliches Empfinden werden als biographischer Ausdruck der Zeichnung sichtbar.
Lukas Hofkunst arbeitet mit Kohle auf einem schweren Baumwollstoff auf grossformatigen Leinwänden: Seine Bilder zeigen die Umwandlungen des rohen Materials zu Zeichnungen, die sich aus der Auseinandersetzung mit dem Material und aus dessen Bearbeitung ergeben. Scheinbar zufällige Muster und Rhythmen sind das Resultat der Gestaltung, des Geschehenlassens und schliesslich der Transformation eines Elements zu einer sichtbaren Abbildung seiner Eigenschaften: Es entstehen zeichenhafte Strukturen aus der Materialität, deren Formen gleichsam elementar und verletzbar sind.